Allgemeine Infos über die Sperrzone von Chernobyl

Der Reaktor am Tag nach dem Unfall, Rekonstruktion (Foto aus dem Chernobyl Museum)
Der Reaktor am Tag nach dem Unfall, Rekonstruktion (Foto aus dem Chernobyl Museum)

 

Wieso besucht man Chernobyl?


Chernobyl ist ein Ort von großer historischer Bedeutung. Hier geschah im April 1986 eine der schwersten durch Menschen verursachten Katastrophen, ein atomarer Super-GAU. Der Ablauf und die Ursachen der Katastrophen sollen nicht Bestandteil dieses Berichts sein, dies kann bei Wikipedia o.ä. bis ins Detail nachgelesen werden. Hier sollen lediglich die Spätfolgen, heute, 25 bzw. 26 Jahre nach dem Unglück, veranschaulicht und beschrieben werden, sowie meine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse. Ich verstehe meine Besuche der Zone nicht als Katastrophentourismus und die Zone selbst auch nicht als Attraktion, sondern als Mahnmal, als Schaubild dafür, was Menschen anrichten können und wie gefährlich Nuklearenergie ist. Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Thematik. Meine Gefühle vor Ort wechseln zwischen Bedrückung, Bedauern und Staunen.

Atomenergie ist ein Spiel mit etwas, das man nicht sehen, schmecken, fühlen oder riechen kann. Ich denke, der Mensch hat sich hier übernommen und überschätzt. Die Risiken mögen gering sein, aber nur die absolute Nichtexistenz von jeglichen Risiken würde meiner Meinung nach den Einsatz dieser Technologie rechtfertigen. Solange auch noch so kleine Restrisiken bestehen, wird die Menschheit nicht verschont bleiben von Unglücken wie Chernobyl 1986 oder Fukushima 2011. Letzteres zeigte, dass die ein Atomunfall nicht nur durch veraltete Technik oder eine vermeintliche unbedarfte Sowjet-Arbeitshaltung geschehen kann. Auch im hochtechnologisierten Japan kann es eine moderne Anlage treffen. Wieso also nicht auch in Deutschland? Oder in Frankreich, wo fast 60 AKWs stehen. Können wir es uns leisten, unseren Planeten aufs Spiel zu setzen? Wir haben doch nur den einen.

Chernobyl heute

Die Sperrzone von Chernobyl, die sich in einem Radius von etwa 30 km um den Katastrophenreaktor „Block Nr. 4“ ausdehnt, ist ein einzigartiges Biotop und umfasst etwa 4500 km² der Ukraine und Weißrußlands. Hier zeigt sich, wie Natur und Menschen auf einen solchen Unfall reagiert haben. Die Zone ist militärisch abgeriegelt und bewacht, Eintritt wird nur mit einer gesonderten Genehmigung der zuständigen Behörde und in ständigem Beisein eines ortskundigen Führers oder im Rahmen einer geführten Gruppe gewährt. Die Menschen haben sich zurückgezogen, die Natur hat sich ausgebreitet. Die interessante Frage, wie würde unsere Welt aussehen, wenn alle Menschen weg wären, wird hier an vielen Stellen beantwortet. Straßen wuchern zu, Häuser verfallen, alles ist Wind und Wetter ausgesetzt. Überall erkennt man nur noch die Reste der Zivilisation. Nur am Kraftwerk selbst wird seit Jahren umgebaut. Der schlechte Zustand des alten Sarkophags erforderte ständige Stabilisierungsarbeiten. Der Bau des neuen Sarkophags durch das französische Konsortium Novarka hat nun endlich begonnen und wird etwa 1,5 Mrd. Euro verschlingen. Das Gelände rund um das Kraftwerk verwandelt sich mehr und mehr zu einer Riesenbaustelle. Im November 2011 wurde neben dem alten, charakteristischen Turm von Block 3 und 4, ein neuer, kleinerer Turm gebaut, der unter die neue Schutzhülle passen wird. Der alte Turm wird daher in absehbarer Zeit demontiert werden und das Kraftwerk sein wohl bekanntestes Merkmal verlieren. Wenn dann wie geplant um 2015 der neue Schutzmantel in Form einer bogenförmigen Betonhalle darüber geschoben wird, wird das AKW nicht mehr wieder zu erkennen sein.

 

Im Gespräch mit Mitmenschen zeigt sich häufig, dass viele ein völlig falsches Bild von der Zone haben. Viele halten diesen Ort für verstrahlt, unbetretbar, verwüstet und zerstört. Und natürlich leuchten alle die dort waren, im Dunkeln. Eine genaue Betrachtung und Beschäftigung mit dem Thema zeigt aber, dass viele Bereiche der Zone dekontaminiert sind, dass eine blühende, bunte Natur vorherrscht. Die Natur und die Tierwelt zumindest haben sich an die Bedingungen angepasst und leben scheinbar ohne Probleme weiter. Nicht so der Mensch.

Weiterhin herrscht eine erhöhte Radioaktivität vor und die Zone wird für tausende Jahre unbewohnbar bleiben (bsp.weise beträgt die Halbwertszeit des in größeren Mengen freigesetzten Plutonium (Pu239) etwa 24100 Jahre und für Caesium (Cs137) etwa 30 Jahre). Kurze Aufenthalte in der Zone sind bei Beachtung der Grundregeln jedoch gesundheitlich unbedenklich. Die giftigsten und langlebigsten Radionuklide sind größtenteils in den Boden versunken und werden allenfalls durch die Vegetation an die Oberfläche gebracht, daher gibt es vereinzelt sog. „Hotspots“ mit erhöhter Strahlung, von Vegetation sollte man sich fernhalten und selbstverständlich keine Pflanzen oder Tiere essen oder berühren.

Verhaltensregeln

-       Klamotten müssen den Körper bedecken (außer Kopf, Hände)

-       Keine offenen Schuhe

-       Nichts berühren

-       Keine Gegenstände aus der Zone mitnehmen – „Take nothing but pictures, leave nothing but footprints“

-       Von Vegetation fernhalten

-       Nicht unter freiem Himmel essen, trinken, rauchen

-       Sich nicht auf den Boden setzen oder Gegenstände auf den Boden legen

-       Den Anweisungen des Führers folgen

 

Keine Verhaltensregel, aber meiner Meinung nach angebracht ist es, sich respektvoll und zurückhaltend zu verhalten. Ich habe in der Zone Besucher gesehen, die überall mit Victory Zeichen für Fotos posiert haben, Gasmasken aufgesetzt haben (zum Spaß) und die ganze Zeit gelacht und Witze gerissen haben. Chernobyl ist kein Vergnügungspark.

 

Nicht erforderlich sind Mundschutz, Schutzanzüge, Handschuhe o.ä. Die Mitnahme eines Dosimeters / Geigerzählers ist zu empfehlen, um die Strahlung im Auge zu behalten und ggf. Hotspots zu bemerken. Oder auch einfach, um ein paar interessante Tests durchzuführen. Beispielsweise kann man einen sprunghaften Anstieg der Radioaktivität messen, wenn man das Gerät über Moos, Pflanzen oder strahlungsabsorbierende Materialien wie z.B. Metall hält.

Die Baustelle für den neuen Sarkophag, Mai 2012
Die Baustelle für den neuen Sarkophag, Mai 2012

Heutige Situation in der Zone

Heute leben einige hundert Menschen in der Zone. Die meisten davon sind Arbeiter, die auch heute noch im Kraftwerk arbeiten. Auch wenn dieses 2000 abgeschaltet wurde, liegt das Kraftwerk nicht still. Neben den ständigen Wartungsarbeiten am alten Sarkophag und dem Bau des neuen Sarkophags ab 2012, wird das Kraftwerk immer noch „abgerüstet“. Die Außerbetriebnahme eines Atomkraftwerks dauert lange Jahre. Die Stillegung eines AKWs umfasst z.B. das Management von radioaktivem Abfall und abgebrannten Brennelementen und wird u.a. vom deutschen Unternehmen Nukem durchgeführt.

Die meisten Menschen der Zone leben in der Stadt Chernobyl / ukrain. Chornobyl, die über eine Stadtverwaltung, Krankenhaus, Supermarkt, Kirche u.v.m. verfügt. Nur eine Schule gibt es nicht, weil es keine Kinder gibt.

Viele Arbeiter leben auch in der damals neu errichteten Stadt Slavutych, etwas außerhalb der Zone. Diese Stadt wurde errichtet, um die Menschen aus Pripyat umzusiedeln und ihnen eine neue Heimat zu geben. Sie reisen täglich mit dem Zug zur Arbeit. Der Bahnhof Semikhody nördlich des Kraftwerks ist hierfür noch in Betrieb.

Einige wenige „Rücksiedler“ sind in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Es handelt sich hierbei meist um alte Menschen, die die Katastrophe entweder nicht glauben wollen oder hinnehmen. Sie werden in der Zone geduldet, es werden allerdings immer weniger. Nachwuchs wird es keinen geben.

 

Gesundheitliche Spätfolgen

Von den mehr als 600.000 Menschen, die bei der Eindämmung der Katastrophe halfen (Liquidatoren), sind eine große, aber unbekannte Anzahl bereits gestorben. Krebs und andere genetische Krankheiten treten in den Randgebieten der Zone deutlich verhäuft auf. Offizielle Zahlen gibt es wenige, und sind i.d.R. deutlich zu niedrig angesetzt. Die genaue Opferzahl des Unglücks und die heutigen Erkrankungen aufgrund des Unfalls sind nicht zu beziffern, dürften aber sehr hoch sein. Wikipedia widmet den Langzeitfolgen des Unglücks einen ausführlichen und lehrreichen Bericht, auf den ich hiermit verweisen möchte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Katastrophe_von_Tschernobyl#Gesundheitliche_Folgen